Bach habe ich immer verehrt, geliebt, mit größtem Respekt betrachtet. Das Bild über dem Klavier meiner Eltern spielte dabei eine besondere Rolle. Es war nicht das berühmte Haußmann-Porträt, sondern eine Zeichnung, auf der Bach nicht ganz so verquollen aussieht. Ich gewöhnte mir an, beim Üben oder dem, was ich dafür hielt, Zwiesprache mit Bach zu halten. Das funktionierte bestens, denn er kommentierte alles, wenn ich es denn wissen wollte. So sah ich seinen strengen Blick, wenn ich keine Lust zum Üben hatte, seinen traurigen, wenn ich Musik spielte, die ihm nicht gefiel. Ebenso kannte ich aber auch seine verschwörerische Miene, die mir bedeutete, daß er mich nicht verraten würde, weil ich wieder einmal lieber vom Blatt gespielt oder Stücke geübt hatte, die ich gar nicht spielen sollte. Besonders glücklich machte es mich natürlich, wenn er lächelte und sich zufrieden mit mir zeigte. So kam es, daß Bach für mich immer ganz menschlich war und ich mich seiner Musik ohne Angst näherte, schon als Kind spielte ich seine Musik am liebsten. Auch war es ein großes Glück, sehr früh das Weihnachtsoratorium oder die Johannespassion im Chor meines Vaters mitsingen zu dürfen, schließlich vom 10. Lebensjahr an sogar schon Continuo in diesen kirchenmusikalischen Aufführungen zu spielen. Heute leide ich unter Entzugserscheinungen, wenn ich zu lange nichts von Bach gespielt habe. Und mein Blick wandert noch immer zu seinem Bild, auch wenn es nun doch das mit dem verquollenen Gesicht ist.
Ich saß in irgendeiner Schulstunde, starrte auf meine Uhr und grübelte, wie ich mich aus dem Unterricht stehlen könnte, um RIAS zu hören. Vorgetäuschte Bauchschmerzen halfen, ich ging in mein Internatszimmer, legte mich ins Bett, versteckte mein winziges Kofferradio unter dem Kissen und schaltete ein. Es war der 27. April 1972, und es ging um das Konstruktive Misstrauensvotum gegen Willy Brandt. Ich war wahnsinnig aufgeregt, schließlich war die Vorstellung, Brandt könnte nicht weiter Bundeskanzler bleiben, eine Katastrophe. Ob nun durch gekaufte Stimmen in allen Fraktionen oder nicht – das Misstrauensvotum hatte keinen Erfolg, ich konnte aufatmen. Was die Politik Brandts wirklich auszeichnete, wusste ich als Dreizehnjährige natürlich nicht so genau, aber daß durch ihn endlich Hoffnung in der Ostpolitik entstanden war, hatte ich wie so viele Menschen in der DDR sehr wohl verstanden. Meine Verehrung für Willy Brandt blieb unabhängig von politischen Angriffen seiner Gegner oder auch seiner eigenen Parteigenossen immer bestehen. Als er 1992 starb, war ich sehr traurig, ich war davon nicht weniger erschüttert als die Menschen, die drei Jahrzehnte zuvor von der Ermordung John F. Kennedys erfuhren.
In Ermangelung einer "BRAVO", die im Osten natürlich nicht zu bekommen war, stürzte ich mich im Teenie-Alter auf das Lesen von Herz-Schmerz- Liebesgeschichten. Dazu zählte auch ein Roman in rosaroten Farben über Clara und Robert Schumann. Wie sehr litt ich mit Clara, als Robert mit Ernestine verlobt war, und wie groß war auch mein Glück beim "happy end" ! Ich ahnte zwar, daß die Geschichte wohl komplizierter war, wirklich wissen wollte ich es aber nicht. Zu schön war die Vorstellung der glücklichen Liebe und der tollen Karriere Claras, dazu die große Fürsorge für den kranken Robert, ihre Opferbereitschaft.. Der DEFA-Film "Frühlingssinfonie" mit Nastassja Kinski als Clara und Herbert Grönemeyer, der Robert wunderbar zerrissen und konfus verkörperte, veränderte mein Bild der Schumanns auch nur unwesentlich. Meine Bewunderung für Clara ist heute größer denn je. Wieviel Kraft muß sie gehabt haben, um ihr Leben zwischen Kindern, Konzerten und ihrem exzentrischen Mann zu organisieren ! Daß sie dabei wahrscheinlich nicht die perfekte Mutter war, daß es zwischen ihr und Robert trotz der großen Liebe garantiert auch Konkurrenzkämpfe und Eifersucht gab, macht sie mir immer sympathischer und menschlicher. Ich hätte gern ihr Klavierspiel gehört, und als quasi Kollegin hätte mich auch ihre Art des Unterrichtens interessiert
Früher hat mich Haydn angeödet."Wenn Haydn ein Tagebuch geführt hätte" – dieses Buch bekam ich zu einem Kindergeburtstag geschenkt. Ich bedankte mich artig und las gehorsam, interessiert hat es mich nicht, ebenso wenig wie die Musik Joseph Haydns. Vielleicht mit Ausnahme der "Schöpfung" war mir seine Musik einfach egal. Es war eben nicht Mozart ! Diese Meinung hielt sich, ein paar seiner Klaviersonaten gehörten zum studentischen Pflichtrepertoire, das ich möglichst schnell abhakte. Später wurde ich in die Radiosendung "Das musikalische Quartett" eingeladen, in der es um die Klaviersonaten Joseph Haydns gehen sollte. Zum Entsetzen des Moderators Clemens Goldberg, der ein bekennender Haydn- Liebhaber ist, sagte ich mit der ehrlichen Begründung ab, daß ich der Musik nichts abgewinnen könne und demzufolge auch nichts zu sagen hätte. Aber bei der Vorbereitung auf einen Klavierabend in der Staatsoper Unter den Linden, in dem ich auf Wunsch des Veranstalters ausschließlich Haydn-Sonaten spielte, war ich sehr fasziniert von der Musik. Allerdings hatte ich mir die späten Sonaten herausgesucht, und skeptisch dachte ich noch immer, daß eben nur diese gut wären. Die darauffolgende Aufnahme scheiterte, nicht weil mich Haydn plötzlich wieder gelangweilt hätte, sondern weil heftige Frühjahrsstürme stundenlang solchen Lärm machten, daß an eine Aufnahme nicht zu denken war. Vielleicht haben ja diese Stürme endgültig die letzten Zweifel an Haydn aus meinem Kopf geblasen, mehr noch aber war es Barbara Schwendowius vom WDR, die mir vorschlug, alle Sonaten aufzunehmen. Der Reiz, die Sonaten auf verschiedenen historischen Tasteninstrumenten zu spielen, war dabei besonders groß, und so bin ich also auf Entdeckungsreise, genieße die Musik und finde überall wunderbare Eigenheiten. Ich bin immer noch nicht Feuer und Flamme für alles – aber ich liebe den subtilen Humor und bin sehr glücklich, mich so intensiv mit Haydn auseinanderzusetzen. Ich habe ja lange genug gewartet.
Sie war von unglaublicher Direktheit. Nicht nur politisch, auch privat, wenn sie mir die Meinung geigte. Ihr Schwager leitete die Domkantorei, einen der größeren Berliner Kirchenchöre, so ergab sich der Kontakt, und ich habe viel Zeit in der Familie zugebracht mit vielen Streitgesprächen. Da ging es weniger um politische Diskrepanzen, in diesen Fragen waren wir uns schon früher ziemlich einig, als um mein Privatleben, das sie teilweise nicht tolerierte. Das musste ich eben aushalten, hatte ich doch in Regine Hildebrandt eine treue und höchst zuverlässige Person in meiner Nähe, die mich als Musikerin offensichtlich sogar so schätzte, daß sie glaubte, ich müsste ihrer ältesten Tochter Frauke nach mehreren vergeblichen Anläufen doch das Klavierspielen beibringen können. Konnte ich natürlich nicht, meine pädagogischen Fähigkeiten hielten sich am Ende meines Studiums wohl sehr in Grenzen, und Frauke wollte einfach nicht. Später haben wir uns einige Jahre nicht gesehen. Als sie in die Politik ging und prominent wurde, habe ich mich gescheut, Kontakt aufzunehmen. Es gab dann aber einige wenige spontane Begegnungen, und jedesmal war es so, als hätten wir uns erst gestern verabschiedet. Ihre schnörkellose und wenig diplomatische Art hatte sie nach wie vor. In ihren verschiedenen politischen Ämtern ging es ihr darum, ganz direkt für die Menschen etwas zu tun, Machtspiele waren glücklicherweise nicht ihre Sache. Bei Politikern habe ich sonst nicht den Eindruck, dass die Leute sie selber sind. Aber Regine hat angepackt und ihre Überzeugung vorgelebt. Neben ihrer Ehrlichkeit und Geradlinigkeit habe ich ihre unglaubliche Energie und Kraft bewundert. So temperamentvoll und laut sie in jeder Diskussion oder Talkshow zu erleben war – wenn es um Musik ging, war sie ganz ruhig und hat es genossen, besonders die Musik von Bach. Sie wünschte sich immer wieder, daß ich ihr das Italienische Konzert vorspiele. Regine war eine absolut außergewöhnliche Frau, und es war für mich ein Glück, sie zu kennen.
Tor oder nicht ? Als alle Welt über das berühmte Wembley-Tor diskutierte und Deutschland, West wie Ost, Trauer wegen der verlorenen Weltmeisterschaft trug, beschäftigte mich nach diesem für mich ersten Fußballerlebnis etwas ganz anderes : ich wollte einen Lieblingsspieler haben. Den Rat meiner Schwester, "nimm´ doch den Wolfgang Overath, der sieht gut aus", beherzigte ich sofort, denn Beckenbauer, den neuen Stern am Fußballerhimmel, hatte sie sich schon auserkoren. Irgendwoher bekam ich auch bald ein sehr kleines Foto geschenkt, fortan hing dieses Overath-Bild über meinem Bett, und ich konnte ihn anhimmeln, soviel ich wollte. Da war ich sieben...Vielleicht ein Jahr später schrieb ich heimlich einen Brief mit rotem Kugelschreiber, in dem ich ihm einen Heiratsantrag machte. Meine einzige Sorge bestand darin, dass er, da er doch in Köln wohnte, sicher katholisch sei, ich aber evangelisch. In Ermangelung einer Briefmarke fand der Brief jedoch nie den Weg in einen Briefkasten, geschweige denn über die Grenze.... Wenn Köln verlor, litt ich sehr, und wenn etwa auch noch irgendein dummer Reporter behauptete, dass Overath schlecht gespielt hätte, wurde ich wütend. Anhängerin des 1.FC Köln blieb ich jahrelang, selbst als Overath längst nicht mehr spielte. Ende der Achtziger, als ich schon zu Konzerten und Kursen Richtung Westen reisen durfte, erreichte ich Köln und sah auf einem Plakat, dass am Abend der 1.FC ein Europapokalspiel bestreiten würde. Mein Ziel war aber ein Cembalokurs bei Gustav Leonhardt. Stundenlang kämpfte ich mit mir – und ging zum Fußball. Ich gab sehr viel Geld für eine Karte aus und saß im Schneeregen im Müngersdorfer Stadion, sah ein mittelprächtiges Spiel, das unentschieden endete. Aber irgendwo auf der Tribüne glaube ich Wolfgang Overath erkannt zu haben.